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Wechselmodell – Damals und heute

Das Wechselmodell ist die neueste Form des Patchwork. Ich habe mit zwei Frauen gesprochen, die es als Kind gelebt haben. Lina (52), warf nach einem Jahr Wechselmodell das Handtuch und lebte anschließend ganz bei ihrem Vater. Sissa (fast 19) kennt es nicht anders, als in zwei Wohnungen zu wohnen. Lina: Zwei halbe Leben – Ein frühes Wechselmodell
„Ich war zwölf Jahre alt, als meine Eltern sich trennten. Heute bin ich 52. Meine Mutter arbeitete bei meinem Vater im Betrieb, das wollten sie so beibehalten. Abends fuhr ich also mit meiner Mutter in ihre neue Wohnung, die ca. 20 Kilometer von meiner Heimat entfernt war. Morgens fuhren wir wieder zurück, ich ging weiterhin in die gleiche Schule, behielt mein Zimmer im Haus von meinem Vater. Mein Bruder blieb ganz bei meinem Vater. Beide Eltern hatten das so entschieden, da sie dachten, es sei die gerechteste Lösung. Heute würde man meine Situation von damals wahrscheinlich als flexibles Wechselmodell bezeichnen.

Mittags kochte meine Mutter, wie früher, für meinen Vater, meinen Bruder und mich, da der Betrieb und das Haus meines Vaters nebeneinander lagen. Abends fuhren meine Mutter und ich wieder in die neue Wohnung, in der wir auch die Wochenenden verbrachten. Weder mein Vater noch meine Mutter hatten neue Partner. Ich musste mich also weder an eine Stiefmutter noch an einen Stiefvater gewöhnen, hatte zu beiden Eltern gleichermaßen Kontakt.

Trotzdem war ich unglücklich. Mein Leben war am Wochenende plötzlich sehr beschränkt. Ich ging am neuen Wohnort nicht zur Schule, hatte dort keine Freunde. Und da wir etwas abseits wohnten, gab es auch nur zwei andere Kinder in der Nähe. Beide waren wesentlich jünger als ich – sprich langweilig. Ein Fahrrad hatte ich nicht. Das war zu Hause bei meinem Vater, damit fuhr ich morgens zur Schule. Eine komplette Zweitausstattung, mit Fahrrad, Spielzeug, Computer etc , wie sie heute oft üblich ist, gab es bei meiner Mutter nicht.

Ich unternahm am Wochenende zwar Dinge mit meiner Mutter, aber ich wurde immer einsamer. Der Kontakt zu meinen Schulfreundinnen wurde weniger, da ich ab vier Uhr nachmittags daheim sein musste, um nach dem Feierabend meiner Mutter abfahrbereit zu sein. Oft trafen die anderen Mädchen sich aber erst um drei Uhr, nach den Hausaufgaben, um etwas zu unternehmen. Auch Geburtstagsfeiern am Wochenende konnte ich nicht mitmachen, ich war dann ja 20 Kilometer weit weg. Dort verbrachte ich die Wochenenden meist mit lesen, oder mit Nichtstun – und mit meiner Mutter. Das Fernsehprogramm – kaum vorstellbar heute –begann erst nach 17 Uhr. Freunde hatte ich keine in der Stadt in der meine Mutter lebte.

Nach einem Jahr zog ich wieder ganz zu meinem Vater. Ich ertrug es nicht mehr, kein eigenes, ganzes Leben zu haben, sondern zwei halbe. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich diese Entscheidung treffen ließen. Ob es wegen dieser Entscheidung Streit zwischen den Beiden gab? Ich weiß es nicht. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass ich davon etwas mitbekommen hätte.“

Sissa: Eine Woche Mama – eine Woche Papa
„Ich bin jetzt 18 und habe, solang ich denken kann, immer zwei Zimmer gehabt. Eins bei Papa und eins bei Mama. Die haben sich getrennt als ich drei war. Aber daran erinnere ich mich nicht. Ich bin mit Papa drei Mal umgezogen und mit Mama zwei Mal. Das letzte Mal ist Mama in eine Wohnung gezogen, von der aus ich nicht mehr zu Fuß zu Papa gehen konnte. Das war nicht so toll, aber die Wohnung ist cool.

Mama hat immer mit ihrem neuen Mann gewohnt. Ich nenne ihn beim Vornamen, würde nie Papa zu ihm sagen. Ich mag ihn, er ist lustig und kocht mir immer mein Lieblingsessen. Papa hat nie mit einer Frau gewohnt. Aber er hatte ein paar Freundinnen. Meist hab ich mich mit denen ganz gut verstanden, aber eine mochte ich gar nicht. Irgendwie waren die mir aber auch egal, wir wohnten ja nicht zusammen.

Früher haben Mama und Papa bestimmt, wann ich wo bin. Seit ich so 12 war, bestimme ich das selbst. Das ist auch cool, manchmal hab ich mit Mama Ärger, dann bleibe ich bei Papa. Dort habe ich auch ein Zimmer, wo er nicht mit bekommt, wenn abends noch jemand zu mir kommt. Papa meckert auch nicht, nur so ein bisschen. Mama ist strenger. Wenn ich mit ihr Krach hatte, bin ich auch mal eher zu Papa. Dann hat sie meist angerufen und dann war alles wieder ok.

Mama hatte auch immer einen Schlüssel für Papas Wohnung. Aber ich glaube Papa hatte keinen für Mamas Wohnung. Aber das weiß ich nicht so genau. Jedenfalls hat Papa mir immer die Sachen gebracht oder geholt, wenn ich was vergessen hatte. Mama wollte das nicht.

Meine beiden Zimmer sind total unterschiedlich. Das mag ich. Aber ich bin bei Mama schon zwei Mal aus dem Hochbett gefallen, weil ich nicht mehr wusste, dass ich bei Mama bin und schnell aus dem Bett wollte. Bei Papa liegt meine Matratze auf dem Boden. Danach wollte Mama das Hochbett abbauen, aber das wollte ich nicht. Papa hat dann ein Seil vor mein Bett gespannt. Da muss ich erst drüber klettern wenn ich raus will. Seitdem ist nichts mehr passiert.

Als ich noch kleiner war hat Papa Internet gehabt und Mama nicht. Ich habe dann bei ihm immer über ICQ mit meinen Freundinnen gechattet. Mama wollte erst kein Internet, aber dann hatte sie das auch. Meine Freundinnen wissen oft nicht wo ich bin. Wir verabreden uns wenn ich bei Papa bin, am nächsten Tag bin ich dann aber bei Mama. Sie klingeln dann bei Papa aber da ist dann keiner. Oder anders rum. Manchmal sind die dann echt sauer. Das ist heftig.

Mama und Papa verstehen sich eigentlich ganz gut. Papa kommt auch immer zu uns, wenn wir Weihnachten feiern. Eigentlich ist es ganz gut so wie es ist. Aber ich habe es auch nie anders kennen gelernt. Oft fragen mich Leute, ob ich nicht ein Zuhause vermisse. Ich weiß es nicht. Es ist ja auch nicht schlecht, wenn man immer wieder woanders sein kann. Ich suche jetzt nach einer eigenen Wohnung zusammen mit meinem Freund. Ich bin gespannt, wie das dann ist. Immer in das gleiche Zuhause zu kommen.“

Soweit Sissa und Lina. Was sind Ihre Gedanken über Kinder im Wechselmodell? Sind Sie Pro oder Contra? Wie immer gilt auch hier: Ich freue mich über Input.

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