Stiefmutter, Mutter, Patchwork – Unsere Familie heute
Marita ist Mutter, Stiefmutter und Bloggerin. Eine gute Mischung, um sie zu bitten, einen Gastartikel für den Stiefmutterblog zu schreiben. Was ist für sie der größte Unterschied zwischen Mutter – und Stiefmuttersein? Ist es ein Spagat? Was klappt gut und warum? Was sind die Herausforderungen? Was ist anders als sie es sich vorgestellt hat? Unsere Familie – was ist das für sie?
Ich bin Mutter und Stiefmutter
Wenn ich gefragt wurde, wie viele Geschwister ich habe, habe ich immer gesagt: “Ich habe anderthalb Brüder!” Das klang erstmal lustig und irgendwie nett. Meistens wurde nachgefragt und ich erklärte: “Einen Halbbruder und einen richtigen.” Mit dem kleinen bin ich zusammen aufgewachsen, den großen habe ich erst kennengelernt, als ich schon fast mit der Schule fertig war. Mittlerweile habe ich mit beiden ein gutes Verhältnis und das “Halb-” wurde von uns einvernehmlich aus dem Sprachgebrauch gestrichen.
Wenn ich gefragt werde, wie viele Kinder ich habe, sage ich: “Ich habe 3 Kinder.” Meistens wird nicht weiter nachgefragt, aber wenn, dann ergänze ich: “Zwei Bauchkinder und ein Bonuskind.” Leider wird das nicht immer sofort verstanden, so dass ich unsere Familie erklären muss, dass der Große der Sohn meines Mannes ist und ich demnach die Stiefmutter. Mit dem Begriff bin ich bis heute nicht warm geworden. Meinem Gefühl nach schafft diese Bezeichnung sofort eine gewisse Distanz. Als ich im Hort die neue Erzieherin begrüßte und mich vorstellte, kam von der Kollegin sofort als Erklärung: “Das ist die Stiefmutter.” Für mich schwang im Subtext hörbar ein “nur” mit, aber vielleicht bilde ich mir das auch ein.
Die Anfangszeit als Stiefmutter
Als ich meinen Bonussohn zum ersten Mal kennenlernte, war er erst anderthalb Jahre alt. Ja, und da stand ich nun mit einem kleinen Baby, ohne Erfahrung, ohne die Vorbereitungszeit einer Schwangerschaft, ohne Hormone und Mutterinstinkte, die einem dabei helfen, mit einem kleinen Kind umzugehen. Tom konnte noch nicht laufen, er hatte einen Schnulli, ein Fläschchen, musste gewickelt werden, Mittagsschlaf machen und fing gerade erst an, Nudeln mit den Fingern essen zu können. Ich hatte ja keine Ahnung! Ich war völlig unvorbereitet, konnte nur auf meinen Instinkt als Frau zurückgreifen und hoffen, dass meine eigene Kindheit und das, was man landläufig so über Erziehung weiß, ausreichen würde.
Gerade jetzt schaue ich mir die Fotos von den ersten Wochenenden an: wie Tom engelsgleich auf meinem weißen Sofa schläft, wie er an einem kleinen Tischchen laufen übt, wie Teile meines Wohnzimmers mit Sofakissen abgesperrt sind, um es kindersicher zu machen. Da sitzt er lächelnd in der Badewanne und kaut an einer kleinen Zahnbürste. Und hier ist ein Foto, auf dem mein Mann Tom auf dem Arm trägt und beide in die Kamera lächeln. Schöne Momente haben wir festgehalten zum Anschauen und Erinnern.
Aber ich erinnere mich auch an die Nächte, in denen Tom bitterlich geweint hat und sich stundenlang nicht beruhigen ließ. Ich hielt ihn im Arm, wiegte ihn, streichelte ihn und sang für ihn alle Schlaflieder, die ich kannte. Ich tat alles, was ich konnte, und konnte ihm doch nicht das geben, was er eigentlich wollte: seine Mama. Das Singen hat teilweise geholfen, und als ich nach Stunden nicht mehr konnte, sagte mein Mann: “Aber du musst singen!” Das wurde für die nächsten Wochen zu einer Art Mantra: du musst singen, du darfst nicht aufgeben, du kannst es schaffen.
Die Anfangszeit als Mutter
Als Tom vier Jahre alt war, kam seine Schwester Lisa auf die Welt und machte mich zu einer Mama, ein Jahr später folgte Anna. Ich war dann gut zwei Jahre in Elternzeit. In dieser Zeit habe ich nicht nur meine Töchter geboren, gestillt, gefüttert, getragen, gewickelt, gebadet und geknuddelt, sondern auch viele Elternforen und Erziehungsratgeber gelesen. Ich las Bücher über die Nachteile von Schlaftrainings, die Wichtigkeit von Authentizität und die Entwicklung des Gehirns. Ich verstand, warum Kinder Wutanfälle bekommen, was hinter der Autonomie(“Trotz”)phase steckt und erlebte, wie unterschiedlich Theorie und Praxis sein können; dass man Dinge, die man einst komplett ausgeschlossen hat, plötzlich wie selbstverständlich doch tut und wie gut sich das anfühlen kann.
Diese Phase hat mich und mein Denken grundlegend verändert. In der Zeit davor war mein Leben in zwei Teile geteilt: An den kinderfreien Wochenenden gingen wir aus, frühstücken gemütlich auf dem Balkon, nahmen am gesellschaftlichen Leben teil, einer Vernissage oder Weinprobe, und genossen unsere Zeit zu zweit. An den Tom-Wochenenden war der komplette Tagesablauf durch seine Schlafenszeiten bestimmt. Das Stiefmutter-Sein war also schon rein zeitlich auf etwa 4 Tage im Monat beschränkt. Erst die Erfahrungen, die ich als Mutter machte, stießen einen echten Veränderungsprozess in mir an. Ich war jetzt “Mama von” und oft nicht mehr “Marita” (bestimmt kennt ihr dieses Phänomen vom Spielplatz oder aus dem Kindergarten). Alle Kinder sind unsere Familie.
Unsere Familie heute
Mittlerweile wohnen alle drei Kinder bei uns. Durch Toms Einzug letzten Sommer sind wir – wieder ohne Vorbereitungszeit – mit den Problemen eines Drittklässlers konfrontiert worden, müssen uns mit Hausaufgaben, Versetzung, Sozialverhalten, Zensuren und der Schulordnung auseinandersetzen. Das nimmt jetzt einen großen Teil der Familienzeit für unsere Familie ein. Ich habe alle drei Kinder lieb, bedingungslos, jedes auf seine Art. Anna ist überschwänglich, ein Wirbelwind, sie sprudelt und singt, kreischt und lacht den ganzen Tag. “Ich hab dich lieb bis zum Mond, nein bis zum Weltall, das ist hinter dem Mond, weißt du?!” Meine Große ist eher ruhig, stellt schlaue Fragen, fordert mich zum Nachdenken auf. Sie findet: “Du bist die liebste Mama auf der Welt.” Und Tom? Der sagt: “Ich mag dich.” Wie eine Feststellung, aber eine wichtige, die mir direkt ins Herz geht. Er hat manchmal Heimweh und vermisst seine Mama. Das ist gut und richtig, ich kann sie nicht ersetzen und versuche das auch gar nicht. Sie ist genauso ein Teil von dem ganzen Gefüge wie jeder andere von uns.
Patchwork auf Augenhöhe
Rückblickend haben wir in der Phase allein mit Tom sicherlich viele Fehler gemacht. In der Anfangszeit war ich unsicher, wie viel ich mich überhaupt in seine Erziehung einbringen sollte. Mein Mann hatte einen strengen Stil mit Regeln und Verboten, ein paar Wochen versuchten wir es mit der Belohnungstafel nach dem Motto “Wenn du 10 Sterne gesammelt hast, darfst du dir etwas wünschen.” Dass das nur die Kehrseite der Medaille “Strafen” ist und der Beziehung absolut nicht förderlich, war uns zu dem Zeitpunkt einfach nicht bewusst. Ein Vorteil war, dass wir die Situationen an den Wochenenden unter der Woche mit einigem Abstand besprechen und daraus lernen konnten. Aber oft führte das auch zu einem “Augen zu und durch”, da ja klar war, nach ein paar Stunden wäre er wieder bei seiner Mutter. Wir wollten die Wochenenden möglichst glatt über die Bühne bringen, da wäre ein Kind, das gehorcht und schlicht “funktioniert” natürlich praktisch. Dass BEziehung wichtiger ist als ERziehung, habe ich erst später gelernt. Heute habe ich eine wertschätzende Haltung im Umgang mit den Kindern verinnerlicht (auch wenn ich bei weitem nicht immer so gelassen und reflektiert bin, wie ich es idealerweise gern wäre).
Ich bin davon überzeugt, dass alle Menschen aus guten Gründen handeln. Jeder möchte seine eigenen Bedürfnisse erfüllen und handelt nicht vorsätzlich gegen andere. Jeder Angriff, jedes Urteil und jedes negative Gefühl zeigen an, dass Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Wenn ich dieses Menschenbild in meinen Beziehungen zugrunde lege, kann ich es schaffen, dass die Bedürfnisse von allen Beteiligten ernst genommen werden. Mein Ziel ist das so genannte „unden“, also „und machen“, eben Konsens statt Kompromiss, ein neuer Weg. Ich habe die Erfahrung gemacht, je mehr ich auf die Gefühle des anderen achte, desto offener wird er auch für meine Anliegen. Menschen tragen gern zum Wohlergehen anderer bei, wenn sie dies freiwillig tun können. Kinder wollen kooperieren, sie wünschen sich, dass Mama und Papa glücklich sind (auch wenn sie nicht dafür verantwortlich sind!) Wenn sie nicht nachgeben wollen, gibt es dafür wiederum gute Gründe. Mir ist es wichtig, einen wertschätzenden Umgang mit allen Familienmitgliedern zu gestalten.
Unsere Familie ist Patchwork – Patchwork ist unsere Familie
Ich bin dankbar dafür, wie weit wir schon gekommen sind, welche schwierigen Situationen wir gemeistert haben und wie wir mit den aktuellen Problemen umgehen.
Wenn du mehr über unsere kunterbunte Patchworkfamilie lesen möchtest, komm auf meinen Blog „Patchwork auf Augenhöhe“. Wenn du dich über Tipps für eine harmonisches und glückliches Familienleben austauschen möchtest, bist du herzlich willkommen in unserer Facebookgruppe.
Marita
Marita bloggt auf ihrem noch recht jungen Blog „Patchwork auf Augenhöhe“ über Schönes, Alltägliches, Beziehung und Erziehung und den ganz normalen Patchwork-Wahnsinn der sich „Unsere Familie“ nennt.
Einer ihrer Grundsätze lautet: Unser Familienalltag besteht aus Geben und Erhalten.
Marita ist verheiratet, hat zwei Bauchtöchter und einen Bonussohn.
Trackbacks & Pingbacks
[…] Im Mai startete ich meinen Blog “Patchwork auf Augenhöhe”, zunächst bei wordpress.com. Dort fing ich an, wöchentlich über unser Familienleben zu schreiben. Zwei Wochen später gründete ich eine dazugehörige Facebookgruppe. Ende Mai schrieb ich meinen ersten Gastartikel im Stiefmutterblog. […]
[…] Den Original Artikel auf dem Stiefmutterblog findest du hier. […]
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!