Stiefmutterblog goes international
Stiefmutterblog goes international – Heute geht es nach Japan. Sprechen Sie Japanisch? Ich nicht. Aber Mayumi Murota, die selbst Stiefmutter und Mutter ist, ursprünglich aus Japan kommt und heute in Hongkong lebt, spricht deutsch und hatte mich vor einiger Zeit gebeten, ihr Informationen über die Situation der Vizemütter in Deutschland zu geben. Sie wollte einen Vortrag über Stiefmütter in Europa halten.
Mayumi, hier mit ihrem Sohn Yuito, ist in der japanischen NPO (Non Profit Organisation) M-Step für Stiefmütter engagiert, die ihre Freundin Terue Shinkawa gegründet hat.
Terue ist Familienberaterin und hat viele Bücher zu dem Thema geschrieben.
Aus diesem Kontakt entstand ein reger Austausch und als ich feststellte, dass die Situation in Japan gänzlich anders ist als in Deutschland, war meine Neugier geweckt. Nachdem aus meinen Informationen nicht nur ein Vortrag, sondern auch ein japanischer Blogbeitrag entstand, bat ich Mayumi und Terue Shinkawa, die Gründerin der japanischen Stiefmutterbewegung M-Step, um einen Gastbeitrag für das Stiefmutterblog. Für Leser, die bessere Japanischkenntnisse haben als ich, gibt es hier das japanische Original. Alle anderen können gerne die deutsche Übersetzung lesen 😉
Stiefmutter sein in Japan
Von Mayumi Murota und Terue Shinkawa
Es gibt in Japan 1,2 Millionen alleinerziehende Haushalte. Dazu sind 25 % der verheirateten Paare in zweiter Ehe verheiratet. Der Großteil davon mit einem oder mehreren Kind/ern aus erster Ehe. Trennung, Scheidung und Wiederheirat sind also kein Einzelphänomen, Allerdings wird die Stieffamilie von der Politik und der Gesellschaft bisher verschwiegen. Die Gründe dafür sind im japanischen System zu finden.
1. Allgemein
Der größte Unterschied ist vielleicht, dass es in Japan kein gemeinsames Sorgerecht gibt. Wenn der Vater das Sorgerecht bekommen hat, leben die Kinder immer bei ihm. Allerdings passiert das nicht so häufig. In den meisten Fällen bekommen die Mütter das Sorgerecht. Somit haben japanische Stiefmütter es entweder mit einer verstorbenen Ex-Frau zu tun, oder mit einer Mutter, die kein Interesse an ihrem Kind hatte.
Obwohl die Scheidungsrate in Japan ziemlich hoch ist und immer mehr Leute in zweiter Ehe verheiratet sind, gibt es leider sehr wenige Unterstützung für Patchworkfamilien. Japanische Stiefmütter haben ähnliche Probleme wie deutsche Stiefmütter. Aber im Unterschied zu Deutschland leben die japanischen Stiefmütter, mit ihren Stiefkindern rund um die Uhr. also 24/7, zusammen. Ihre leibliche Mutter besuchen die Kinder vielleicht einmal im Monat oder seltener (oder nie).
2. Bewusstsein für Stieffamilien
In Japan gibt es keine offiziellen Untersuchungen zum Thema Stieffamilien. Es gibt auch kein originär japanisches Wort dafür. Wir haben das Wort einfach aus dem Englischen übernommen und bis heute ist das Bewusstsein sowohl für das Wort als auch für die Bedeutung der Stieffamilie, sehr gering. Terue hielt gerade eine Vorlesung für allein erziehende Mütter. Nicht einmal die Hälfte von ihnen kannte das Wort „Stiefmutter“ oder „Stiefvater“, geschweige denn, dass sie etwas mit dessen Bedeutung anzufangen wussten. Dabei handelte es sich um junge, durchaus aufgeschlossene Frauen, in ihren Mitzwanzigern.
Auch eine Umfrage einer Frauenzeitschrift bestätigt dieses Defizit. Laut dieser Befragung kannten nur 17 % der Japaner die Begriffe „Stieffamilie“, „Stiefmutter“ oder „Stiefvater“. Unter diesen Voraussetzungen ist klar, dass sowohl Stiefmütter als auch Stiefväter große Probleme haben, über ihre Familiensituation zu sprechen. Wenn nicht einmal das Wort bekannt ist, bedeutet es ja auch, dass es in der japanischen Gesellschaft kein Verständnis für diese Familienkonstellation gibt. Die meisten Stiefeltern sprechen kaum über ihre Probleme, da sie nirgends verstanden werden.
3. Stiefkindadoption
In Japan gibt es kein gemeinsames Sorgerecht. Ein Elternteil bekommt das Sorgerecht, und das Kind lebt anschließend bei ihm. Mit allen Konsequenzen, was Rechte und Pflichten betrifft. Lernt dieses zunächst alleinerziehende Elternteil einen neuen Partner kennen, wird der bei einer Hochzeit fast immer das Kind adoptieren. Das ist in Japan ein relativ normaler Vorgang. Man braucht dafür keine Genehmigung des nicht sorgeberechtigten Elternteils. In Japan müssen verheiratete Paare den gleichen Nachnamen tragen, da wäre es für eine Mutter die neu heiratet eine untragbare Situation, wenn ihr Kind einen anderen Nachnamen hätte als sie und ihr neuer Ehemann. Diesen Konflikt löst man durch die Adoption.
Dazu kann man unterschiedlich stehen, entweder pro Adoption oder dagegen sein. Das große Problem in Japan ist in unseren Augen, dass sehr häufig adoptiert wird ohne sich über die Folgen bewusst zu sein. Wir denken, dass man gerade zu Beginn einer Ehe sehr vorsichtig damit sein sollte. Immerhin ist die Adoption auch später noch jederzeit möglich und muss also nicht direkt bei der Hochzeit erfolgen.
4. Unterhalt und Umgang
Nur 20% der unterhaltspflichtigen Elternteile in Japan zahlen Unterhalt. Der Anteil unter ihnen, die ihre Kinder sehen und Umgang haben, ist noch geringer. Mittlerweile hat man auch in Japan erkannt, dass ein regelmäßiger Umgang wichtig für das Kind wäre. Aber trotzdem ist für viele japanische Eltern das Ende einer Ehe gleichbedeutend mit dem Ende des Kontaktes zum Kind.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Oftmals bedeutet ein Kontakt mit dem geschiedenen Elternteil auch Konflikte – gerade nach einer Wiederheirat. Das Ehepaar, bei dem das Kind lebt, ist nicht glücklich darüber, dass der andere Elternteil sich „die Rosinen heraus pickt“. So wünschen viele, die Beziehung zum Ex-Vater oder zur Ex-Mutter zu beenden, damit Ruhe in der neuen Familie einkehrt. Auch die Kinder sagen oft, dass die den Ex-Elternteil nicht mehr sehen wollen, weil sie Rücksicht auf die Gefühle ihrer aktuellen Eltern nehmen wollen.
Besuch oder Umgang bedeutet in Japan nicht notwendigerweise, dass ein Kind seine/n biologische/n Mutter oder Vater daheim besucht. Üblicherweise finden diese Treffen irgendwo außerhalb statt und sind auf zwei Stunden, maximal einen halben Tag begrenzt. Wenn die Kinder es wünschen, wird der Umgang nach einer Zeit ausgedehnt. Diese Treffen finden meist in einem Park oder einem Zoo statt. Also dort, wo Kinder auch Spaß haben können.
Das Umgangs-und Besuchsrecht ist eigentlich für die Kinder gedacht, aber es wird von den Erwachsenen kontrolliert (und missbraucht). Durch die Stiefkindadoption bekommt das Stiefelternteil mehr Rechte als das leibliche Elternteil. Dadurch wird ihm die Möglichkeit gegeben, Besuche und Umgang nach seinen Vorstellungen zu regeln.
4. Probleme
Die oben geschilderten Probleme tauchen nur bei geschiedenen Eltern auf. Ist ein Elternteil gestorben, gibt es eher Probleme mit den Verwandten. Ein wichtiger Aspekt ist auch das Alter der Kinder, in dem sie zum Stiefelternteil kommen. Sind sie sehr jung, gibt es weniger Probleme als bei älteren Kindern.Aber das größte Problem in Japan ist ein anderes.
Bis heute geht man hier davon aus, dass Kindererziehung Sache der Frau sei. Sie wird auch für Stiefkinder zur Verantwortung gezogen. Stiefmütter dürfen bei Problemen oder als Entschuldigung bei Fehlverhalten niemals sagen: „Es ist nicht mein Kind“. Sofort wird ihnen dann erwidert: „Du bist die Mutter, du musst alles akzeptieren“ oder „Natürlich ist es hart, das ist es für alle Mütter.“
Stiefmütter haben in Japan keine Anlaufstelle, wenn es Probleme gibt. Gehen sie zur Sprechstunde einer Jugendbehörde und bitten dort um Ratschläge, heißt es nur: „Du musst das Kind in den Arm nehmen und lieben.“ Mehr Hilfe gibt es nicht. Die Stiefmütter leiden dann meist noch mehr als vorher und schweigen.
5. Forderungen
Wir Stiefmütter von M-Step fordern für die Zukunft:
- DIe Einrichtung einer professionellen Stelle die Unterstützung für Stiefeltern anbietet, und in der die speziellen Probleme und Schwierigkeiten verstanden werden.
- Anlaufstellen für zukünftige Stiefeltern um dort vorab eine Beratung über Zweite Ehen mit Kindern zu bekommen.
- Spezielle Unterstützungsangebote in der näheren Umgebung, wo Stiefmütter Hilfen bekommen, um die Erziehung ihres Stiefkindes leichter zu bewerkstelligen.
Um das zu erreichen fordern wir als ersten Schritt von der Regierung eine flächendeckende Untersuchung und Befragung zum Thema Stiefeltern, um die aktuelle Situation wissenschaftlich bewerten zu können.
Interessanter Artikel über ein recht unbekanntes Thema. Mich würde auch interessieren, wie es in Japan vorrangig zu Zweitehen kommt (Stichwort: Ehevermittlung), ob die Kinder tatsächlich, wie oft in japanischen Medien wie Mangas zu lesen ist, erst nach dem Umzug die neue Familie kennenlernen, etc.
Viele Grüße!
Ich frage Mayumi gerne. Liebe Grüße, Susanne
Vielen Dank für Ihre Frage!!
Es tut mir leid, dass ich spät beantworte…..
Das kommt wohl nur in Mangas vor….:) Die Kinder lernt seinen potentiellen Stiefvater oder seine Stiefmutter kennen, bevor sie zusammenziehen. Normalerweise stellen die Elternteile ihren Kindern ihre neuen Lebenspartner vor, wenn die beiden entschieden haben zusammenzuziehen.
Viele Grüße,
Mayumi
Das Bild, was wir hier in Deutschland von Japan haben ist wahrscheinlich von viel zu vielen Klischees geprägt. Mangas, Samurai-Filme etc. Und leider haben nur wenige Menschen die Gelegenheit zu reisen und Japan bzw. seine Kultur und seine Menschen kennen zu lernen.
Mayumi, Du kennst Deutschland. Was sind für Dich in den japanischen Familien die größten Unterschiede zu Deutschen Familien? Und was die größten Gemeinsamkeiten?
Liebe Grüße, Susanne
Natürlich hängt es von der Familie ab, aber gewöhnlich stehen die Kinder für die Eltern an erster Stelle, haben oberste Priorität in der Familie.
Wenn die Familie zerbricht, wenn es zwischen den Eltern keine Liebe mehr gibt und die Beziehung nicht mehr zu kitten ist, bleiben die Eltern oft zum Wohle der gemeinsamen Kinder zusammen. In Japan gibt es ein Sprichwort: Kinder verbinden ihre Eltern für immer.
Für mich ist es der größte Unterschied…außerdem sehe ich keine besonderen Unterschiede zwischen japanischen und deutschen Familien 🙂
Viele Grüße,
Mayumi
Sehr interessant