Die Position der Stiefmutter

Die Position der Stiefmutter

Stiefmütter haben es nicht leicht. Lange Zeit fühlen sie sich mehr als Gast im neuen Familiensystem, als wirklich ein Gefühl der Zugehörigkeit empfinden zu können. Ihr Alltag  fühlt sich oft ungerecht an. Als neue Frau des Vaters werden sie „in die Pflicht genommen“ und müssen Abstriche machen im Beziehungsalltag. Aber die Position der Stiefmutter ist schwammig, wird oft nicht wirklich definiert. Ein Gastartikel von Beatrice Lührig, die als Coach Familien berät. Beatrice hat selbst sechs Kinder und ist in zweiter Ehe verheiratet.

Die Position der Stiefmutter aus familiensystemischer Sicht

Von Beatrice Lührig

Auch wenn die Kinder des Vaters schnell einen Platz in ihrem Herzen finden und sie als Stiefmutter vielleicht sogar die Hauptbezugsperson im Alltag des Kindes ist, bleibt oft ein schales Gefühl. Denn wenn es hart auf hart kommt, Unterschriften in Schule und beim Arzt gebraucht werden ist die Position der Stiefmutter schwach. Oft bleibt nur der Gang zur leiblichen Mutter, um diese dann hoffentlich einzuholen. Die leibliche Mutter hat das letzte Wort, egal wie sinnvoll eine bestimmte Unterstützung, Schulform oder gesundheitliche Beratung für das Kind sein mag. Diese Situation ist ein Dauerzustand, da die leiblichen Eltern nun mal leibliche Eltern bleiben und nur durch diese Eltern dieses Kind so, wie es ist, in die Welt kommen konnte und gekommen ist.

Oft kommen daher Stiefeltern, Eltern in Patchworksituationen oder erwachsene Menschen, die selbst bereits in Patchworksituationen aufgewachsen sind, in meine Seminare. Ihr Ziel ist es, mit dem systemischen Familienstellen einen geeigneteren Platz im Gesamtgefüge zu finden und sich so im Alltag besser integriert und wahrgenommen zu fühlen.

Die Lebensfragen

Patchwork hinterlässt bei allen „System-Mitgliedern“ (ein Begriff aus der Arbeit mit Familienaufstellungen) Spuren. Die Kinder aus ungeklärten Patchworksituationen erleben oft auch als Erwachsene große Unsicherheit in vielen Lebenszusammenhängen. Immer wieder wird in Frage gestellt, ob man nun dort, wo man gerade ist, auch hingehört. Es fällt schwer, irgendwo richtig anzukommen. Das kann die Arbeitsstelle sein, der aktuelle Lebenspartner, der Wohnort, ein Verein, oder sogar der eigene Körper als „Sitz der Seele“.

  • Bin ich (hier) richtig?
  • Darf ich sein, wie ich bin?
  • Stimmt was nicht mit meiner Liebe?
  • Wieso fällt es mir so schwer, meine Liebe zu einem Menschen (späterer Lebenspartner) zuzulassen?
  • Warum traue ich mich nicht richtig, ganz ja zu sagen zu dieser Beziehung?

Solche Lebensfragen können ein Hinweis darauf sein, dass die Integrität des Kindes, das man einst war, nicht mehr richtig intakt ist. Ein Kind liebt immer seine leiblichen Eltern, weil es sehr viele Jahre keine Urteile über die „Qualität“ der Elternschaft fällt. Wenn ein Kind schon früh eine ausgeprägte Meinung über die Mutterschaft oder Vaterschaft eines seiner Elternteile hat, dann hat es die von außen übernommen. Dieses Hinterfragen der elterlichen Fähigkeiten in Bezug auf die Eltern-Kind-Beziehung setzt von selbst erst in der Pubertät und oft erst zwischen 14 und 21 Jahren ein.

Ein Kind liebt beide Elternteile bedingungslos

Damit ein Kind sich gesund entwickeln kann, braucht es in erster Linie das Feedback, dass mit seiner Liebesfähigkeit alles stimmt. Wenn es von seinem Lebensumfeld gespiegelt bekommt, dass es einen Menschen liebt, der in den Augen anderer Menschen nicht wert ist, geliebt zu werden (weil er nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht und sich vielleicht wirklich in einer verletzenden und ungünstigen Weise verhält), bringt das die Integrität des Kindes ins Wanken.

Es versucht dann, dem anderen Bild gerecht zu werden und entwickelt eine ablehnende Haltung gegenüber einem Elternteil. Es entfernt sich von seiner eigenen Liebe zu diesem Menschen und damit leider auch von sich selbst. Kinder wollen immer richtig sein. Deswegen gleichen Kinder, die zwischen zwei Familienzusammenhängen hin und her wechseln, oft einem menschlichen Chamäleon. Die unterschiedlichen Schilderungen der leiblichen Elternteile darüber, wie das Kind sich im Alltag verhält, wollen sich auf den ersten Blick überhaupt nicht zu einem Gesamtbild verbinden. Dieses Phänomen ist bereits ein Spiegel davon, in welcher emotionalen Lage und Zerrissenheit sich die Kinder und damit auch alle anderen Familienmitglieder befinden.

Das Problem existiert VOR der Stiefmutter

Sobald ein neuer Erwachsener das System betritt, sehen halbwegs seelisch gesunde Kinder eine Chance, sich von dieser Überlastung zu befreien. Die Position der Stiefmutter ist dann die des schwarzen Peters. Ihr wird dann das Problem „zugeschoben“. Aus Sicht der Kinder ist das erst einmal ein Segen. Deswegen kann es gut sein, dass sie sich mächtig über die Stiefmutter und ihre vermeintliche Unfähigkeit und Ungerechtigkeit auslassen.

In den seltensten Fällen ist tatsächlich die Stiefmutter Problemauslöser. Sie ist in ein Beziehungsgefüge eingetreten, in dem es bereits ein Problem gab. Nur hatten sich die Problem-Verantwortlichen (Eltern) noch nicht in der Lage gesehen, eine Lösung zu finden und die Konfliktsituation zu einem guten Abschluss zu bringen.

Gerade Frauen haben auf Grund ihrer angeborenen Mutterinstinkte das große Bedürfnis, diesen Kindern gerecht zu werden. Sie fühlen, dass sie schon genug zu tragen haben und sind bereit, zu neuen Lösungen  beizutragen. Doch hier kommen ganz schnell die Grenzen ihrer Möglichkeiten zutage, denn auch sie sind nicht in der Lage, die Beziehungskonflikte zwischen den Leiblichen Eltern zu lösen oder auch nur zu kompensieren – was sowieso immer auf Kosten der neuen Beziehung geht.

Die Lösung liegt bei den leiblichen Eltern

Wie löst man das Problem? Die leiblichen Eltern, oder wenigstens ein Elternteil, muss beginnen, die eigenen Kinder aus der Überverantwortung zu entlassen. Dazu muss er sich bewusst mit dem verbliebenen Schmerz, den nicht ausgesprochenen Vorwürfen und dem eigenen Scheitern auseinander setzen. Der leibliche Elternteil muss sich aktiv mit dem Beziehungs-Problem in einer heilsamen Weise beschäftigen. Verurteilungen und Schuldzuweisung führen zu einer erneuten Überlastung der eigenen Kinder.

Auch für das Gelingen der neuen Partnerschaft ist ein gesunder Umgang mit der alten Beziehung und der Tatsache, dass man IMMER gemeinsam Eltern bleiben wird, notwendig. Als Stiefmutter kann man nahezu gar nichts tun. Nur Gesprächspartner zu sein, die eigenen Grenzen im Zusammenleben mit den Kindern bewusst zu kommunizieren und mit ihnen in Beziehung zu gehen, soweit das möglich ist.

Wie helfen Familienaufstellungen dabei?

Man kann eine Familienaufstellung machen und eine Menge Klarheit über die eigenen Möglichkeiten und auch die eigene Ohnmacht gewinnen, was durchaus entlastend sein kann.
Wichtig ist auch, ein gesundes Selbstwertgefühl zu erschaffen, um dem eigenen Partner gegenüber gut kommunizieren zu können, was es für ein glückliches und erfülltes Zusammenleben auch von ihm braucht. Nämlich seine bisherigen Beziehungen aufzuräumen und Verantwortung für die eigenen Konflikte zu übernehmen, die schon vor der neuen Frau/Partnerin im System herumgeisterten.

Die Integrität aller Familienmitglieder ist wichtig

Die Integrität des anderen Elternteils und des Stiefelternteils ist wichtig und will gewährt werden. Dafür braucht es hier einen wertschätzenden und differenzierten Rahmen, in dem eine solche Betrachtung und Lösung individuell gefunden werden kann.  Sogenannte systemische Aufstellungen.

In der Aufstellungsarbeit bekommen die Teilnehmer einen neuen Überblick über die wesentlichen Familienzusammenhänge, der im Alltag so oft nicht gefunden werden kann. Oft stehen wir uns als Elternteile oder Stiefelternteile selbst im Weg. Es tut einfach weh, wirklich zu fühlen, welche Diskrepanz zwischen Wunsch und täglich erlebter Wirklichkeit besteht. Mit der systemischen Arbeit können wir diese Lücke deutlich verkleinern und oft sogar aufheben. Manchmal reicht bereits ein Seminartag und ein bis drei Beratungstermine (Skype oder persönlich), um die Familiensituation deutlich zu verbessern. Und manchmal will nach ein paar Monaten, wenn sich eine neue und angenehmere Stabilität entwickelt hat, noch ein Schritt weiter in ein glücklicheres Familienleben gegangen werden. Das ist eine Wahl, die jeder für sich allein treffen kann und darf.

Besserung ist in Sicht

Meine Erfahrung in der lösungsorientierten Begleitung von Eltern und Stiefeltern zeigt, dass es oft nicht lange dauert, bis wirklich eine Verbesserung der täglichen Beziehungsqualitäten erreicht ist, wenn die Entscheidung gefallen ist, dass das jetzt sein muss und auch in Angriff genommen wird.

Beatrice


Wer mehr über die Arbeit von Beatrice mit systemischen Aufstellungen erfahren will, kann das gerne auf ihrer Seite machen.

Beatrice hat ein Buch geschrieben über ihre Arbeit. Frei für Dein Leben – Gute Lösungen mit systemischen Familienaufstellungen“ ist erhältlich bei Amazon als EBook und Softcover. Es enthält mehrere Kapitel über Patchworksituationen in der Aufstellungsarbeit und eines speziell über die Position der Stiefmutter und mögliche Lösungsansätze. Beatrice bietet Seminare mit systemischen Aufstellungen regelmäßig einmal im Monat in Löffingen (Nähe Titisee-Neustadt, Hochschwarzwald) an.

Bitte E-Mail mit Stichwort „Position der Stiefmutter“ an: Stiefmutterblog@gmail.com oder einfach einen Kommentar hinterlassen.

In eigener Sache: Ich weise darauf hin, dass der Stiefmutterblog kein juristisches oder medizinisches Forum ist. Ratschläge, die hier gegeben werden, sollten ggf. von Ihrem Familienanwalt oder Arzt geprüft werden. Ich übernehme keine Haftung für die Ratschläge oder Links, auch nicht  in den Kommentaren, freue mich aber sehr über die vielen guten Tipps, die hier gegeben werden.

Foto: Stocksnap, Christina Paukshite

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