Umzug mit Kind: Welches Gericht ist jetzt zuständig?

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Es kommt durchaus häufiger vor, dass Trennungen so ablaufen, dass ein Elternteil mit dem Kind einfach wegzieht. Und zwar nicht drei Straßen weiter, sondern 500 km weit weg. Mein Gastautor, der Anwalt Matthias Bergmann beleuchtet heute die Frage: Welches Gericht ist jetzt zuständig? Das, am ehemaligen Wohnsitz oder das Familiengericht am neuen Wohnort des Kindes?

Wegziehen bei geteiltem Sorgerecht

Häufig geschieht so ein Umzug im Rahmen von sorgerechtlichen oder anderen kindschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen. Der Elternteil mit dem Kind beschließt einfach weg zu ziehen. Von Stuttgart nach Rostock. Oder ähnliches. Und was nun?

Die Situation ist erst einmal schlecht. Das Kind ist weit weg, was zumindest den Umgang schon aus rein praktischen Gesichtspunkten schwierig macht. Und vor allem: welches Gericht ist jetzt zuständig? Das in Stuttgart? Oder das in Rostock? Allgemein gilt der Grundsatz: Zuständig ist das Gericht am Wohnort des Kindes. Darum denken auch die meisten Eltern (und viele Anwälte) in dieser Situation, das Gericht am neuen Wohnort sei zuständig. In unserem Beispiel dann das in Rostock. Aber stimmt das auch?

Zuständigkeit des Familiengerichtes

Welches Gericht zuständig ist, ist nicht ganz unwichtig, denn es ist immer schwerer einen Rechtsstreit an einem 500km entfernten Ort zu führen. Man hat Reisekosten, Reisekosten des Anwaltes, Absprachen sind schwierig. Und ein Richter in Rostock tut sich voraussichtlich schwerer damit, ein Kind wieder nach Stuttgart zu schicken, als ein Stuttgarter Richter sich damit tut, ein Kind wieder nach Stuttgart zu holen. Das Bekannte erscheint uns allen immer besser, davor ist auch ein Richter nicht gefeit.

Also: Welches Gericht ist jetzt zuständig? Grundsätzlich regelt das § 152 FamFG. Dort heisst es:

„(1) Während der Anhängigkeit einer Ehesache ist unter den deutschen Gerichten das Gericht, bei dem die Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war, ausschließlich zuständig für Kindschaftssachen, sofern sie gemeinschaftliche Kinder der Ehegatten betreffen. 

(2) Ansonsten ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“

Aha. Was sagt dies dem geneigten Leser? Nun, zunächst ist klar, dass eine Ehesache, also Scheidungs- und Scheidungsfolgeverfahren, die Zuständigkeit für Kindschaftssachen bestimmt. Wenn ein solches Verfahren also schon läuft, so ändert sich durch den Wegzug erst einmal gar nichts an der Zuständigkeit.

Alleiniges Sorgerecht beantragen – Wo?

Wenn es noch nicht läuft (es gab keine Ehe, oder die Scheidung ist noch nicht beantragt), so richtet sich die Zuständigkeit nach § 152 II FamFG. Das Gericht ist zuständig, „in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ So weit so gut. Nur: Wo ist das denn? Also der „gewöhnliche Aufenthalt des Kindes“? Dort kann man dann auch das alleinige Sorgerecht oder alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragen und die Rückführung des Kindes zu erreichen suchen.

Hier wird es spannend. In der Praxis der Amtsgerichte wird es oft so gehandhabt, dass einfach das Gericht genommen wird, wo das Kind sich jetzt neu aufhält. In unserem Fall wäre das jetzt Rostock. Das ist aber nicht richtig!! Denn für einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ braucht man schon etwas, was diesen Aufenthalt gewöhnlich macht. Und nach einem Umzug von 500km ist der neue Aufenthaltsort vieles, aber gewöhnlich ist er nicht.

Was ist der gewöhnliche Aufenthalt?

Der rechtstechnische Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ wird zwar im FamFG verwendet, aber nicht definiert. Eine gesetzliche Definition des Begriffes findet sich aber in § 30 III Satz 3 Sozialgesetzbuch I. Dort heißt es:

„(3)….Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.“

Das klingt gut, hilft aber auch nicht so richtig weiter. Denn natürlich lässt das Kind durch den ihn betreuenden Elternteil erkennen, dass es beabsichtigt an dem neuen Ort dauerhaft zu wohnen. Das würde dafür sprechen, dass dort ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet ist. Andererseits befindet sich der betreuende Elternteil durch die eigenmächtige Verbringung des Kindes in klarem Verstoß gegen § 1687 I Satz 1 BGB, er handelt rechtswidrig.

Für die Frage, welche Umstände relevant sind bei der Suche nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes werden also auch die Umstände zu berücksichtigen sein, die der nicht betreuende Elternteil unternimmt. Nämlich der Antrag auf Rückführung, Übertragung der alleinigen Sorge für das Aufenthaltsbestimmungsrecht etc. Allerdings ist der gewöhnliche Aufenthalt „faktischer Natur“, es kommt also nicht auf die rechtliche Auffassung des Sorgeberechtigten an, sondern auf die Frage, ob tatsächlich zu erwarten ist, dass das Kind an dem neuen Wohnort bleibt.

Hier laufen die Ansichten verschiedener Gerichte und Kommentare etwas auseinander. Die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes sollte daher auf jeden Fall besprochen und gerügt werden. Rechtlich kann es nämlich durchaus sein, dass der gewöhnliche Aufenthalt eigentlich immer noch am alten Wohnort ist. Das übersehen nur die meisten Gerichte und Anwälte gerne einmal.

Aufenthaltsbestimmungsrecht und gewöhnlicher Aufenthalt

Selbst wenn man aber annehmen möchte, dass der „gewöhnliche Aufenthalt“ am neuen Wohnort ist, heißt das noch nicht, dass dort auch das Verfahren geführt werden muss. Denn hier greift der § 154 FamFG. Der lautet:

„Das nach § 152 Abs. 2 zuständige Gericht kann ein Verfahren an das Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes verweisen, wenn ein Elternteil den Aufenthalt des Kindes ohne vorherige Zustimmung des anderen geändert hat. 2. Dies gilt nicht, wenn dem anderen Elternteil das Recht der Aufenthaltsbestimmung nicht zusteht oder die Änderung des Aufenthaltsorts zum Schutz des Kindes oder des betreuenden Elternteils erforderlich war.“

Das bedeutet, dass es wahrscheinlich sinnvoller ist, einen Antrag am Gericht am neuen Wohnort zu stellen und dann die Verweisung an das Gericht am alten Wohnort zu beantragen. Dabei kann man auch anführen, dass die Zuständigkeit des Gerichtes am alten Wohnort gem. § 152 FamFG ebenfalls gegeben sein sollte.

Gut geeignet ist dieses Vorgehen, wenn kein Scheidungsverfahren droht. Denn sofern dies möglich ist, geht die Zuständigkeit mit Einreichen des Scheidungsantrages an das Gericht, welches für die Scheidung zuständig ist. Hier muss genau geprüft werden, wie man am sinnvollsten vorgeht. Bei Kindern deren Eltern nie verheiratet waren, oder bei denen das Scheidungsverfahren längst abgeschlossen ist gibt es diese Gefahr der späteren Verweisung nicht.

Die Frage, welches Gericht ist jetzt zuständig, sollte schnell geklärt werden

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Frage der Zuständigkeit zügig und nachdrücklich geklärt werden muss. Es lohnt sich zu prüfen, ob eine Möglichkeit besteht, ein Verfahren an den alten Wohnort zurück zu ziehen.

All dies hat mit der inhaltlichen Frage, ob das Kind am neuen Wohnort verbleibt, nichts zu tun. Hierzu sei nur erwähnt, dass bei einem unabgesprochenen Auszug aus einem gemeinsamen Haushalt eigentlich eine Rückführung im Eilverfahren möglich sein sollte. Das BverfG hat deutlich gemacht, dass es zu ähnlichen grundsätzlichen Einschätzungen kommt.

„Nimmt ein Elternteil anlässlich der Trennung das gemeinsame Kind eigenmächtig mit, ist es im Einzelfall wahrscheinlich, dass gerade in der ersten Phase der Trennung das Kind besser in seiner alten Umgebung aufgehoben ist und die Herausnahme seinem Wohl nicht dienlich ist.“  BVerfG, FamRZ 2009, 189

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Matthias Bergmann

Matthias Bergmann

Matthias Bergmann hat sich im Bereich Familienrecht auf Sorge- und Umgangsrecht spezialisiert und ist als Anwalt für Sorge- und Umgangsrecht im gesamten Bundesgebiet tätig. Außer ihm haben sich nur eine Handvoll weiterer Kollegen nur auf dieses Kerngebiet des Familienrechts spezialisiert. Er kennt die zahlreichen Problematiken und weiß, dass Konflikte nach einer Trennung mit Kind immer hoch emotional sind und von betroffenen Eltern viel Kraft verlangen. Mit seiner Arbeit möchte er Trennungseltern unterstützen, Problemlösungen zu finden und eine zufriedenstellende Gesamtsituation für alle Beteiligten herzustellen. Herr Bergmann führt auch einen Blog, auf dem er unterschiedliche Aspekte seiner Arbeit beleuchtet.


Bitte E-Mail mit Stichwort „Welches Gericht ist zuständig“ an: Stiefmutterblog@gmail.com oder einfach einen Kommentar hinterlassen.


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Foto: stocksnap/Jay Mantri

4 Kommentare
  1. Sofien
    Sofien sagte:

    Mutter und Kind wohnen dauerhaft im nicht EU Land (dort auch geheiratet und geschieden ) Vater in Deutschland, kann die Mutter in Deutschland Unterhalt Titulierung oder ein Urteil durch Anwalt machen ? Oder muss alles erstmal in Ausland gemacht werden und dann in Deutschland vollstrecken !
    Mit freundlichen Grüßen

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  2. Elisa
    Elisa sagte:

    Hi,
    danke für den interessanten Beitrag.
    Ein Freund hat bereits einige Übersiedlungen mit seiner Tochter hinter sich. Am Anfang war es für ihn aufregend, mittlerweile hat er sich aber mit seiner Frau ausgesöhnt und es ist kein Problem mehr.

    Antworten
  3. Matthias Bergmann
    Matthias Bergmann sagte:

    Wenn Sie eine Strafverfolgung nach § 235 StGB erreichen wollen sollten Sie Strafanzeige zur Staatsanwaltschaft schicken.
    Allerdings stellt sich immer die Frage, ob der Tatbestand im strafrechtlichen Sinne auch wirklich erfüllt ist.

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  4. Peter Hagge
    Peter Hagge sagte:

    und in Flensburg ist Kindesentführung bzw § 235 StGB eine rein zivilrechtliche Sache die von der Polizei NICHT verfolgt wird. Das Jugendamt unternahm ebenfalls mehrmals nichts sondern verwies stets an die Polizei.
    Soll heißen Mann müsste DIREKT zur Staatsanwaltschaft ?

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