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Wettstreit des Leidens

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Letztes Wochenende klingelte mein Handy. Nummer unbekannt. Ich lag gemütlich lümmelnd auf dem Sofa, ging nichtsahnend ran. Eine Dame war am anderen Ende, nannte kurz ihren Namen (Eve, den Nachnamen habe ich leider nicht wirklich verstanden) und fragte, ob sie störe. Ich nahm an, sie sei eine Stiefmutter, die eine Frage hätte, und fragte, worum es denn ginge. War das ein Fehler? Es war ein sehr anstrengendes Gespräch und hat mich wieder einmal zum Nachdenken gebracht. Warum nur um alles in der Welt wiegen die unterschiedlichen Familienmodelle ihr Leid gegeneinander auf und kämpfen darum, das Benachteiligste zu sein. Ist denn Familie heute ein Wettstreit des Leidens?

Mir geht es schlechter als Dir

Aber zurück zur Anruferin. Ich fasse mal zusammen. Es war keine Stiefmutter. Eve ist Alleinerziehend. Sie hatte mit ihrem Ex-Mann in sehr kurzem Abstand zwei Töchter bekommen, ihn verlassen, als die Kinder noch sehr klein waren. Wie sie sagt, da er kein Familienmensch sei. Das ist fast zehn Jahre her. Er hat eine neue Frau, noch einmal zwei Kinder bekommen.

Ihr erstes Anliegen war, dass die Stiefmutter Eves Kinder schlägt. Ein NoGo, ganz klar, aber eigentlich ginge es ihr nicht darum. Sie erzählte weiter, dass ihr Ex sie geschlagen habe, ihre Kinder hätten keinen Kontakt zum Vater, er zahle nicht, sie hätte jedes Mal Angst, wenn die Kinder bei ihm seien, den Unterhalt müsse sie eintreiben, ein Titel bestehe – aber nicht einmal für den Mindestunterhalt – dem er auch regelmäßig nachkäme. Ihr Ex sei ein beziehungsunfähiger Narzisst, der seit der Trennung von Eve (die Kinder sind jetzt in der Pubertät) mit der neuen Frau zusammen ist. Sie verstehen nur Bahnhof? Sie denken, hier widerspricht sich jemand mit jedem Satz? Ging mir genauso.

Was wollen Sie von mir?

„Was wollen Sie eigentlich von mir?“ fragte ich während des mindestens eineinhalbstündigen Telefonats bestimmt zwanzig Mal. Mir schwante, dass es hier um einen Wettstreit des Leidens ginge. Um die Frage, wer es denn nun am schlechtesten hätte in unserer Gesellschaft.

„Dass Sie endlich aufhören, die Stiefmütter zu beweihräuchern. Sehen Sie nicht, dass wir Alleinerziehende viel schlimmer dran sind?“, war zusammengefasst ihre Antwort. Genau formuliert hat Eve das nicht. Sie fand alles nur ungeheuer ungerecht. Sie arbeitet Vollzeit, ist Single, unglücklich und der Meinung, dass Stiefmütter es per se besser hätten, weil sie einen Partner an ihrer Seite hätten und ich daher doch lieber über das Leid der Single-Mütter schreiben solle. Sie sei da sehr engagiert, das wäre das deutlich interessantere Thema. Aber eigentlich solle ich lieber gar nichts mehr schreiben, da Stiefmütter doch sowieso nichts mit den Kindern zu tun haben und nicht mal Babysitter sein wollen.

Alleinerziehende haben es schwer – Stiefmütter aber auch

Ich gebe zu, ich war die ersten dreißig Minuten des Gesprächs immer wieder versucht, einfach aufzulegen. Eve ließ sich in ihrem Wortschwall nicht bremsen, egal wie oft ich sie fragte, was denn der eigentliche Grund ihres Anrufes war. Aber einfach auflegen empfinde ich als sehr unhöflich. Außerdem wirkte Eve nicht dumm oder ignorant, sie war einfach nur sehr unglücklich und in ihrem Leid so verhaftet, dass sie tatsächlich kein Auge mehr für anderes hatte. Geschweige denn für die Problematik der Anderen.

Eve fand es wichtig, dass es Blogs über Alleinerziehende gäbe. Ob der Umkehrschluß aber eine Daseinsberechtigung für den Stiefmutterblog sei, bezweifelte sie weiterhin. Eve war gefangen in ihrer ganz persönlichen Leidens-Schleife. Sie konterte jedes statistische Argument mit ihrer persönlichen Erfahrung. Wobei ihre Geschichte im Laufe des Gesprächs immer schlimmer und ihr Ex immer gewalttätiger wurde. Der Höhepunkt war ihre Antwort auf meine Frage, warum ihr Ex mit der neuen Frau denn schon seit fast zehn Jahren offensichtlich glücklich zusammen war und die Neue von seiner schrecklichen Natur so wenig mitbekam: Die Next hätte ja auch Söhne mit ihm bekommen, Eve hätte nur Töchter. Die seien in seinen Augen nichts wert.

Das Steuerrecht ist ungerecht

Nun habe ich als Journalist gelernt, dass es für einen Gesprächsverlauf besser ist, zunächst Gemeinsamkeiten heraus zu arbeiten und anschließend erst über Differenzen zu diskutieren. Also suchte ich einen Punkt, bei dem wir uns einig waren. Der war schnell gefunden.

Eve fühlte sich ungerecht besteuert. Als Alleinerziehende würde sie mehr zahlen als Ehepaare ohne Kinder. Sofort stimmte ich zu, auch ich finde das Steuergesetz in Deutschland ungerecht. Warum wird ein unterhaltspflichtiger – und zahlender – Vater (nach einer Scheidung besonders gut spürbar) wie ein Single ohne Anhang besteuert? Nun gut, der Vater war Eve egal, aber allgemein waren wir uns einig: Das Steuerrecht ist ungerecht. Für alle Eltern. Auch für Alleinerziehende.

Mir geht es schlechter. Immer! Warum eigentlich?

Mir tat Eve nach unserem Gespräch tatsächlich sehr leid. Eve wollte von mir nur eines hören: dass ihr persönliches Schicksal schlimmer sei, als das aller Stiefmütter zusammen. Sie wollte jammern, ihr eigenes Leid klagen und in ein Ranking einordnen, bestätigt haben. Ohne sehen zu wollen, dass es nirgends einfach ist. Letzten Endes will Eve ein Opfer sein.

Warum machen wir Frauen so einen Mist? Suhlen wir uns in diesem Wettstreit des Leidens? Verharren in einer passiven Opferhaltung? Nicht nur in Familiendingen. Ich kann mich an einen Krankenhausaufenthalt erinnern, bei dem ich irgendwann nicht mehr mittags in die Kantine ging, weil dort nur darüber gesprochen wurde, wem es schlechter ging. Gewonnen hatte bei dem Wettstreit des Leidens nicht etwa diejenige, die aus ihrer Situation das beste machte, nein, sondern diejenige, die ihr Leid am lautesten und tränenreichsten verkündete und der es, ärztlich anerkannt, am schlechtesten ging.

Das Leben ist schön!

Mal ehrlich, brauchen wir diesen Wettstreit des Leidens? Diese Top Ten des Unglücks? Die Königin des Schicksals? And the winner is: Die Alleinerziehende, ohne neuen Partner, ohne Unterhalt, mit Migrationshintergrund, behindertem Kind, unheilbarer Krankheit, ohne Arme, ohne Beine, stumm, taub, blind, die ihren Hungerlohn-Vollzeitjob an eine Stiefmutter verliert? Tusch! TaTa! Wir haben doch einen Knall! Jetzt mal echt, was soll das?????

Statt unseren Fokus darauf zu lenken, wie schlecht wir es jeweils haben, sollten wir das Positive beleuchten. Und statt zu messen, wer es schlechter oder besser hat, sollten wir gemeinsam dafür kämpfen, dass es allen besser geht. Alleinerziehenden, Stiefmüttern, Müttern, Kindern, Vätern, Stiefvätern – eben allen, die Familie leben. Egal in welcher Form. Das Leben ist schön. Familie ist schön. Lassen wir nicht zu, dass der Staat oder die Steuergesetzgebung uns gegeneinander ausspielt. Lassen wir nicht zu, dass unsere individuelle Situation uns den Blick für das Schöne verlieren lässt.

Lassen wir nicht zu, dass wir Frauen uns gegenseitig in den Boden stampfen und wir unsere Kraft verlieren!


Bitte E-Mail mit Stichwort „Wettstreit des Leidens“ an: Stiefmutterblog@gmail.com oder einfach einen Kommentar hinterlassen.

In eigener Sache: Ich weise darauf hin, dass der Stiefmutterblog kein juristisches oder medizinisches Forum ist. Ratschläge, die hier gegeben werden, sollten ggf. von Ihrem Familienanwalt oder Arzt geprüft werden. Ich übernehme keine Haftung für die Ratschläge oder Links, auch nicht in den Kommentaren, freue mich aber sehr über die vielen guten Tipps, die hier gegeben werden.

Foto: Stocksnap, Skitter Foto

7 Kommentare
  1. Ma
    Ma sagte:

    Ich kann mir vorstellen, dass es manche „Alleinerziehende“ schwierig haben, zumindest finanziell; aber dann die Betreiberin des Stiefmutterblogs heraussuchen, sie kontaktieren und ihr quasi durch die Blume vermitteln, sie solle den Stiefmüttern keine Plattform mehr bieten, das ist dann ganz schön frech!

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  2. Daka
    Daka sagte:

    Ein sehr guter, wenn auch trauriger Beitrag. Ich bewundere deine Ausdauer, dort so lange zugehört zu haben.

    Ich habe auch lange gebraucht um festzustellen, dass ich mich nur selbst glücklich machen kann und nicht von meinem Partner/Kindern verlangen/fordern kann mich glücklich zu machen, wenn ich das selbst nicht schaffe. Seit ich meine Einstellung geändert habe, gehe ich leichter durchs Leben und bin glücklich. Unser Lieblingsspruch zu hause ist“Jammern hilft nicht“, Anpacken, Dinge versuchen zu ändern ist die Devise. Klar, haben wir viele Probleme vor allem in der Kommunikation mit der KM und der Uneinigkeit wegen des Umgangs. Aber wir jammern nicht. Wir halten uns immer wieder vor Augen, dass es erstens noch viel schlimmer geht (und wir somit doch noch „Glück“ haben) und zweitens versuchen wir alles in unserer Macht stehende, den Zustand für unser BK zum besseren zu wenden und seine Umgangswünsche durchzusetzen, auch wenn uns das viel Kraft, Zeit, Nerven und letztlich auch Geld kostet, anstatt zu jammern.

    Die Frau kann einem jedenfalls leid tun. Sie hat nicht nur ihren Mann, sondern darüber hinaus auch noch sich selbst verloren…ich hoffe, dass die Kinder das „unbeschadet“ überstehen…

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    • Bärbel
      Bärbel sagte:

      Hallo Daka,

      eine gute Einstellung auf dem Weg ins Glück. Ich denke auch, dass viele Beziehungen darum scheitern, dass man den Partner quasi als „Verantwortlichen“ fürs Glück hernimmt und ihm die Schuld gibt, wenn dem dann nicht so ist. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, und sich in der Opferrolle zu suhlen hilft keinem weiter.

      Dass du seitdem leichter durchs Leben gehst und glücklicher bist, kann ich gut nachvollziehen. Und auch bei meinem Partner und mir funktioniert es mit der Kommunikation mit der KM und dem Umgang zwar manchmal nicht so gut, aber wie mich der Stiefmutterblog gelehrt hat, gehts noch weit weit schlimmer. Die Kinder sind Gott sei Dank in Richtung „aus dem elterlichen Nest“ (die Älteste ist 16), ich denke ich kann die Jahre an einer Hand abzählen, wo wegen Umgang noch gestritten wird. Also auch immer das Licht am Ende des Tunnels sehen.

      Liebe Grüße
      Bärbel

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  3. Susanne Wechselmodell
    Susanne Wechselmodell sagte:

    Liebe Susanne,

    lass dich nicht kirre machen von einer einsamen, verzweifelten Frau, die nach allem schlägt, gerne jammert und nur sich selbst sieht.

    Leider sind viele Alleinerziehende so drauf, bekommen zudem in vielen Foren, in der Gesellschaft und leider auch vor Gericht größte Anerkennung für ihr Engagement und ganz viel Zustimmung und Mitleid.

    Im Grund sind das wirklich arme Frauen, jedoch arm im Kopf, weil sie nur sich sehen. Du hast Recht, warum lebt er seit 10 Jahren glücklich mit einer anderen Frau und Familie. Ergo, die Ex ist neidisch und sucht natürlich Gründe, um besser da zu stehen.

    Genau das ist es doch, was hier in ganz vielen Beiträgen immer wieder hochkommt. Die Ex ist doch die arme, verlassene Frau (auch wenn sie den Mann verlassen hat, fremdgep.ppt hat usw. Schuld muss der Mann sein, sonst geht die eigene Rechnung nicht aus.

    Dieser Wettstreit wird nie aufhören, weil es gesellschaftlich anerkannt ist, dass Alleinerziehende jammern und dann, je mehr sie jammern, Unterstützung erfahren. Schön, dass Du damit zu nachdenken anregen möchtest, doch alle Stiefmütter, die hier mitlesen, denken schon lange nach und sind froh, diesen Blog gefunden zu haben. Merken sie doch, sie sind nicht allein!

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    • Susanne Petermann
      Susanne Petermann sagte:

      Kirre machen lasse ich mich ganz sicher nciht. Ich finde es nur so traurig, wenn man nicht über seinen eigenen Tellerrand hinaus schauen kann.

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  4. Kerstin
    Kerstin sagte:

    Ich kenne die Rolle der Alleinerziehenden auch ganz gut (ich war die ersten 6 Jahre mit meinen Zwillingen „allein“). Und ich verstehe es bis heute nicht…. WARUM zur Hölle gibt es so viele alleinerziehende Frauen, die so ein fruchtbares Drama aus ihrer Situation machen??
    Ich war immer drauf bedacht, dass es meinen Babys, später dann Kleinkindern gut geht und es uns an nichts mangelt. Nichts hätte mir ferner gelegen, als ihren Vater irgendwie vor ihren Ohren schlecht zu machen.
    Wir waren WIR und gut. Ende. Uns ging es gut und vor allem hatten wir unsere RUHE.
    Es war keine stressige, anstrengende Zeit. Ich musste mich mit niemandem „abstimmen“, wie der Tag so gestaltet wird. Die Kinder hatten eine schöne Kindheit, wo es an nichts fehlt (wenn man UNBEDINGT was finden WILL – dann vielleicht ein richtiger Vater).

    Tja – und ebenso gibt es vermutlich auch Leute, die diese Zeit als furchtbar tragische Zeit empfinden. Von allen „im Stich gelassen“ und für alles selbst verantwortlich. Eine Strafe. (Finde ich persönlich so furchtbar für die beteiligten Kinder, die durch so ein Verhalten um ihre Kindheit besch…. werden).

    Und ganz ähnlich wird es wohl in den Patchworkfamilien bzw. – korrigiere – Partnerschaften/Ehen wo einer oder beide beteiligte Kinder mitbringen laufen. Je nach Konstellation das „tollste was einem passieren konnte“, oder eben auch eher eine Strafe, die man versucht „abzusitzen“.

    Aus welcher Perspektive heraus man auch immer es sehen mag. Es gibt ja für jeden die ultimative Lösung, wenn es gar nicht mehr geht. Von daher finde ich dieses überzogene Rumgejammere ala „kein Mensch hat so ein furchtbar schweres Schicksal wie ich zu tragen“ – ganz furchtbar. Und diese Option gibts nicht nur für Alleinerziehende sondern ebenso für Patchworkfamilien..

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  5. A
    A sagte:

    Ein Beitrag mit wahren Worten. Es ist so viel einfacher, wenn man für sich selbst versucht, das es einem gut geht. Aber für manche gehört das Leiden zu ihrer Person. So traurig es klingt, aber ich denke oft, diese Personen haben für sich nicht viel mehr in dem Moment, über das sie sich darstellen können.
    Ich danke auf jeden Fall für diesen Beitrag. Er regt zum nachdenken an. Würden alle positiv denken und handeln, würde es allen besser gehen… Besonders den Kindern!

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