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Wehret den Anfängen – Die Geschichte von der Ente

Wehret den Anfängen

Jeden Tag bekomme ich E-Mails von Frauen, die mir Episoden aus ihrem Leben erzählen. Mal ist es lustig, mal ärgerlich, mal regen sie sich auf, mal sind sie am Ende ihrer Kräfte. Sie fragen mich dann meist, was sie tun sollen. Sie wüssten nicht mehr weiter, hätten all die Jahre alles mitgemacht und jetzt einfach keine Kraft mehr. Sie können nicht mehr. Ich kann dazu nur eines sagen: Wehret den Anfängen. Seit Ihr schon mittendrin: Beginnt damit, das Ruder trotzdem herumzureißen. Und damit Ihr auch wisst, was ich damit meine, erzähle ich Euch die Geschichte von der Ente. Seit ich sie kenne, überlege ich mir immer dreimal, ob ich etwas schlucken oder besser gegensteuern sollte.

Wehret den Anfängen – Die Geschichte von der Ente

Vor etlichen Jahren hatte ich über eine längere Zeit sehr starke Rückenschmerzen und eine Freundin empfahl mir eine Thai-Masseurin. Nein, nicht so eine Dame mit Happy-Ending-Service, sondern eine ganz klassische Thai Massage. Als ich das erste Mal zu Sanya ging, liefen mir die Tränen runter. Sie war ungefähr 1,50 Meter klein, wog 40 Kilo, massierte die Schmerzpunkte aber mit einer Kraft, dass mir Hören und Sehen wegblieb. Sanya war so gut, dass schon nach der zweiten Sitzung der Schmerz spürbar weniger wurde. So konnten wir dann während der folgenden jeweils einstündigen Massagen auch etwas plaudern. Wenn die Tränen vor Schmerzen laufen, ist man ja nicht so zum Plaudern aufgelegt 🙂

Wir kamen auf Sanyas deutschen Ehemann zu sprechen, und auch darauf, wie sie ihre deutschen Schwiegereltern das erste Mal traf. Mit charmanten Akzent erzählte sie mir von ihrem ersten Weihnachtsfest mit den damals noch zukünftigen Schwiegereltern. Die Begeisterung, dass der einzige Sohn eine Ausländerin heiraten wollte, hielt sich bei den erzkonservativen, norddeutschen Eltern in Grenzen. Aber sie wollten dem jungen Glück ihres Sohnes nicht im Weg stehen und so luden sie Sanya und ihre Mutter am ersten Weihnachtstag zum Entenessen ein.

„Es schmeckte furchtbar“, erzählte Sanya, während sie an meinem Rücken arbeitete. „Die Ente war viel zu trocken, alt und schlecht gewürzt.“ Dann fragte die zukünftige Schwiegermutter mit einem aufmunternden Nicken, ob es denn schmecken würde. Die Antwort, die sie erwartete, war klar.

Hand aufs Herz: Was würdet Ihr antworten? Ich hätte wahrscheinlich etwas säuerlich gelächelt und behauptet, dass die Ente vorzüglich sei. Macht man ja so. Sanya nicht. Sie handelte nach der Regel: Wehret den Anfängen! Kaum war die Frage gestellt, zischte ihre Mutter nämlich auf Thai: „Sag die Wahrheit, sag, dass es scheußlich schmeckt“.

Auch wenn es schwer fällt: Zeige Rückgrad!

Ich war baff und sagte Sanya, dass man in Deutschland eher lernt, den Schein zu wahren und den anderen nicht zu brüskieren. Sie nickte, und meinte, so hätte ihre Mutter sie auch erzogen. Aber in dem Moment war der Mutter klar, dass es jetzt auf etwas ganz anderes ankam. Auf die Zukunft der Tochter.

„Sei ehrlich. Wenn du jetzt lügst und sagst, dass dir die Ente schmeckt, wirst du dein Leben lang an Weihnachten diese Ente essen müssen“, sagte sie zu ihrer Tochter. „Das ist viel schlimmer, als jetzt die Wahrheit zu sagen. Du musst heute Rückgrat zeigen, hier werden die Weichen für dein Leben gestellt. Wehret den Anfängen!“

Was für eine weise ältere Dame. Und was für eine mutige Tochter! Ich stelle mir das einmal bildlich vor. Da sitzt ein leicht misstrauisches, älteres, deutsches Paar, dazu noch diverse Tanten und Onkel, am festlich gedeckten Tisch, lädt die zukünftige thailändische Schwiegertochter und deren Mutter großzügiger Weise ein und bekommt dann um die Ohren geknallt, dass Essen würde grauenhaft schmecken. Hammer, oder?

Willst Du diese Ente immer wieder essen müssen?

„Ich habe mich überwunden, war ehrlich und sagte, das sei die schlechteste Ente, die ich je gegessen hätte“, erzählte Sanya sanft, während sie mich knetete. Klar, war die Schwiegermama nicht begeistert. Eher im Gegenteil. Ihr wisst, was ich meine. Alle Anwesenden waren entsetzt, die gute Frau hyperventilierte und Sanya stand ganz kurz vor dem Rausschmiss.

„Meine Mutter hat dann gesagt, ihr hätte es auch nicht geschmeckt. Und sie hat den ganzen Tisch für das nächste Wochenende zu sich eingeladen und gesagt, sie würde auch Ente machen. So, wie wir in Thailand Ente zubereiten. Und wenn die Schwiegermutter diese Art mögen würde, brächte sie ihr bei, wie man Thai-Ente macht. Wenn nicht, würde man zukünftig eben etwas anderes essen.“

[bctt tweet=“Um des lieben Friedens willen alles schlucken? Nein! Wehret den Anfängen und denkt an die Ente!“]

Das Ende vom Lied war, dass seither beide Mütter sich abwechseln mit dem Weihnachtsessen, nur noch Sanyas Mutter Ente macht und alle heute herzlich über diesen ersten Abend lachen können.

Was Sanya an diesem Abend konnte, kannst du auch!

Egal, wie peinlich es ist, egal, wie die Reaktion der anderen ausfällt. Wenn es Dir wichtig ist, schlucke es nicht einfach runter. Wenn es Dir wichtig ist, gestalte es nach Deinen Wünschen. Mach den Mund auf! Sonst wirst du immer wieder die gleiche schreckliche Ente essen müssen.

Was Sanya konnte, kannst Du auch! Und wenn Du keine Mutter hast, die bei solchen Aktionen hinter Dir steht, denke Dir einfach, eine Freundin wäre da. Stelle Dir vor, dass Sanya, ich und alle anderen Stiefmütter hinter Dir stehen. Sei mutig! Gestalte Dein Leben! Du hast nur dieses eine. Lass nicht zu, dass andere Menschen mehr Macht über dich haben, als du selbst. Es ist nie zu spät, auch nach Jahren kann man noch das Ruder herumreißen. Denke an die Ente! Mich begleitet sie seither in meinem Leben.

Susanne


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Foto: Stocksnap, Skitter Photo

5 Kommentare
  1. Maya
    Maya sagte:

    Ein Nebeneffekt wäre dann: Wenn sich der Freund sofort auf die Seite seiner Mutter gestellt hätte, wüsste sie sofort woran sie bei ihm wäre. In vielen Stieffamilien ist ja nicht die Durchsetzung gegenüber den Stiefkindern oder Exfrau oder Schwiegermutter das Problem, sondern dass der Partner nicht hinter der Stiefmutter steht. Oder dass er eine völlig verquere Ansicht vertritt und nach diesen Idealen sollte dann auch die Stiefmutter handeln und sein. Manche bräuchten also keine Freundin, sondern eine Puppe, die ihm hilft, seine Ideale zu erfüllen. Beispiel: „ich hab mich von der Ex getrennt, nicht von den Kindern“ mag ja im Grundsatz stimmen, aber in der Realtität hat er sich auch von seinen Kindern getrennt- räumlich sowieso und für die Kinder ist das in ihrer Sichtweise auch so- egal wie (gut) die Trennung verlief und wie (gut) mit den Kindern geredet wurde. Da sollte er Verantwortung übernehmen und nicht so tun: „ich hab euch ja gar nie verlassen und die Frau an meiner Seite braucht ihr nicht zu beachten, mit der hab ich gar nichts zu tun..“. Wie ihr ahnt: ich hatte damals nichts über die Ente gesagt…- um Mut zu machen: es geht auch später noch, leider mit mehr Ausdauer und Hartnäckigkeit, aber es geht! 🙂

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  2. Kerstin
    Kerstin sagte:

    Wirklich ein toller Beitrag. Denn ich musste arg schmunzeln. 5 Tage nach dem mein heutiger Gatte spontan bei mir einzog, da hatte er Geburtstag. Ich machte eine Torte mit Pfirsichen. Und irgendwann, während er gar kein 2. Stücken wollte, da sagte er ganz verlegen: „Ich mag gar keine Pfirsiche. Um ehrlich zu sein, ich HASSE Pfirsiche, aber woher sollst du das jetzt auch wissen können!“ (So gut kannten wir uns da noch nicht – denn er ist nach 10 Tagen zu mir gezogen). Ich war eher wenig begeistert. Kann man sich vorstellen – im ersten Moment habe ich das wie die Schwiegermutter mit der Ente empfunden. Aber er sagte auch gleich: „Ich kann das jetzt essen und so tun als würde ich es mögen, aber dann laufe ich doch Gefahr, dass ich ständig irgendwas mit Pfirsichen essen muss und aus der Nummer nie wieder raus komme!“

    Es gab noch viele Momente, wo man sehr ehrlich sagen musste: „Du, das/die/den mag ich aber gar nicht! – Das mache ICH aber SO UND SO und das bleibt auch so!“
    Und manchmal ändert man auch sich und seine Meinung zu Dingen, auch dies muss man dann mal ehrlich ansprechen.
    Und ganz oft ist dies eben auch der Fall, wenn es um Kinder/Planung/Besuche/Geschenke/Krankheiten etc. pp. geht. Wäre vielleicht netter, wenn man seinen Mund hält und den „Frosch schluckt“ (bzw. die Ente 😉 ), aber wehret den Anfängen. DAS ist wirklich SEHR wichtig!

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    • Susanne Petermann
      Susanne Petermann sagte:

      Dein Mann hatte damals völlig recht. Du hättest ihm immer wieder Pfirsichtorte serviert. Was für ein Grauen.

      Es braucht Mut, so etwas zu sagen. Das ist klar. Aber wenn man immer nur Kröten schluckt, hat man irgendwann so arg Bauchweh, dass man Gift und Galle spuckt. Das ist noch viel schlimmer!

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  3. Teres
    Teres sagte:

    Hallo Susanne
    Ich finde diesen Beitrag ganz toll! Ich bin auch der Meinung, dass man resp. Frau von Anfang an für sich einstehen muss. Männer haben auch mehr Respekt für eine Frau die dies tut. Zu wehret den Anfängen würde ich auch gerne noch kurz einen Tipp abgeben. Ich lese hier des öfteren von Stiefmüttern die vorschnell zum Partner gezogen sind und sich dann dort einiges vom Partner und dessen Kindern gefallen lassen, Beziehungen in der die Stiefmutter sehr viel gibt, aber dafür nicht geachtet oder sogar schlecht behandelt wird. Ich bin ein grosser Fan der Regel Büchern von Ellen Fein und Sherrie Schneider („Die Kunst, den Mann fürs Leben zu finden“ oder „Wie man heute die Liebe fürs Leben findet“). In diesen Büchern wird Frau ausdrücklich davor gewarnt, vorschnell und kopflos mit dem Partner zusammen zu ziehen. Ich kann diese Bücher wirklich empfehlen, sie stärken die Selbstachtung und den Selbstwert und vermitteln genau, was Frau tun kann, damit Mann von Anfang an respektvoll und zuvorkommend mit ihr umgeht.
    Liebe Grüsse
    Teres

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