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Kommunikation auf Umwegen – Konfliktlösung made in Afrika

Konfliktlösung. Foto: Alexey Topolyanskiy, stocksnap

Ich saß am Wochenende in Berlin in einem Café und bekam zufällig mit, wie ein Ex-Paar am Nebentisch über ihre gemeinsamen Kinder stritt. Sie sagte etwas, er erwiderte etwas, sie warf ihm etwas vom vergangenen Wochenende vor, er kam ihr mit irgendeiner Uraltkamelle. Um es auf den Punkt zu bringen – keiner hörte dem anderen wirklich zu. Sie wollte ihre Punkte – es ging um den Urlaub der Kinder – durchbringen, er wollte … ja was eigentlich? Er hat nach meiner Empfindung nicht geäußert, was er wollte.  Letzten Endes wäre das auch kaum möglich gewesen, da sie ihm nach spätestens einem Satz ins Wort fiel. Er war höflicher, ließ sie ausreden, machte dabei aber einen völlig abwesenden Eindruck. Für mich als Außenstehende war nach wenigen Minuten klar, dass eine Konfliktlösung bei den Beiden unmöglich war. Dieser angespannt-aggressive Austausch von Worten war ein Paradebeispiel dafür, wie zwei Menschen miteinander sprechen können, ohne dabei zu kommunizieren.

Dass ein Konflikt auch ganz anders ausgetragen werden kann, habe ich vor vielen Jahren eindrucksvoll erlebt. Ich war damals bei Isa und Andrew zu Gast. Isa ist eine alte Freundin, gebürtige Frankfurterin, Andrew, ihr Mann, kommt gebürtig aus Nigeria. Beide hatten damals ernsthafte Eheprobleme und standen kurz vor der Trennung. Isa wollte eine klassische Eheberatung, Andrew wollte, dass sie die Probleme auf nigerianische Weise lösen.

Konflikte werden in vielen Teilen Nigeria öffentlich ausgetragen. Das heißt, jeder, der meint, seinen Senf dazugeben zu müssen, kann das tun und den Kontrahenten helfen. Bei Ehekonflikten wird die Frau zunächst zu ihren Eltern geschickt und anschließend besprechen die Eltern des Mannes und die Eltern der Frau, wie man eine Lösung finden kann. Stehen die Eltern nicht zur Verfügung, suchen sich die Streithähne jeweils einen Anwalt, der bedingungslos auf ihrer Seite steht und als ihr Sprachrohr agiert.

Nun war ich also als Gast und gute Freundin im Haus des deutsch-nigerianischen Paares und wurde gefragt, ob ich bei so einem Streitgespräch Isas Sprachrohr und Anwalt sein wolle. Der Vorgang würde folgendermaßen sein: Andrew erzählt seine Sicht seinem „Anwalt“, in unserem Fall war das sein Bruder Carl. Der wiederholt das mit eigenen Worten, stellt eventuell Verständnisfragen. Solange, bis er nach Andrews Meinung alles richtig verstanden hat. Anschließend trägt Carl den Sachverhalt mir, also dem „Anwalt der „Gegenpartei“, vor. Ich stelle wiederum Verständnisfragen, solange bis Carl meint, ich hätte ihn richtig verstanden. Das übermittle ich dann an Isa, diskutierte mit ihr bis wir eine Antwort formuliert hatten und gebe die dann an Carl und der wiederum an Andrew weiter.

Soweit so kompliziert. Das eigentlich irre an der ganzen Sache war allerdings, dass alle vier, Andrew, Carl, Isa und ich am gleichen Tisch saßen. Also eine Art „Stille Post“ in laut.

Ehrlich gesagt war ich zunächst etwas überfordert. In Deutschland mischt man sich ja nicht so öffentlich in Privatangelegenheiten ein. Ich erklärte mich bereit, warnte Isa aber dass ich so etwas nie zuvor gemacht hätte. Sie meinte, das sei nicht schlimm, ich dürfe nur nie vergessen, dass ich ihre Anwältin sei. Ich müsse ihre Sicht wiedergeben, ich könne zwar mit ihr diskutieren, dürfe aber nur vermitteln und weitergeben, was in ihrem Sinn und von ihr abgesegnet sei.

Anfänglich fand ich die Sache banal. Isa und ich hatten doch schon gehört, was Andrew gesagt hatte, das jetzt zig mal zu wiederholen, nachzufragen ob es denn wirklich das sei, was er sagen wolle, etc. erschien mir müßig. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Carl diskutierte als Anwalt mit Andrew, alles vor unseren Ohren. Mal fand er Andrew zu nachgiebig, mal zu fordernd. Das konnte man klar heraushören. Die beiden argumentierten heftig. Aber er gab an mich immer nur das weiter, was Andrew abgesegnet hatte. Genauso handhabte ich es dann mit Isa. Egal was ich persönlich für eine Haltung zu der jeweiligen Thematik hatte, mit Carl kommunizierte ich nur in Isas Sinn.

[bctt tweet=“Als Gasthörer der eigenen Probleme gibt es keinen ZUM EINEN OHR REIN, ZUM ANDEREN RAUS Effekt. „]

Schnell merkte ich: Die erste Antwort, die man im Eifer des Gefechts wohl gegeben hätte, war vergessen, wenn der Diskussionspunkt endlich bei der anderen Seite angekommen war. Es ging tiefer und gleichzeitig wuchs das Verständnis für den anderen. Isa und Andrew waren in einer gewissen Art Gasthörer ihrer eigenen Probleme. Der berühmte „zum einen Ohr rein, zum anderen Ohr raus“ Effekt, der beim Paar in Berlin zum Beispiel offensichtlich war, war auf Eis gelegt. Sie hatten nicht nur die Worte des Ehepartners, sondern auch die jeweilige Version beider Anwälte gehört. Mit anderen Worten, mit anderen Zusammenhängen, mit anderer Betonung. Irgendwie wurden dadurch ganz neue Wege gezeigt und geebnet.

Ich bin keine Psychologin, kann nicht wissenschaftlich beschreiben was passierte, aber beide Kontrahenten fanden plötzlich Lösungsansätze, mit denen sie gut leben konnten. Und ich bin sicher, ohne Carl und mich als Anwalt, hätte das nicht funktioniert. Isa und Andrew wären, so wie das Ex-Paar in Berlin, in ihrem immer gleichen Wortgefecht hängen geblieben. Sie hätten die ewig gleichen Formulierungen genutzt und sich – seien wir ehrlich – wahrscheinlich einfach nicht richtig zugehört.

Ich werde diesen Abend in Frankfurt nie vergessen. Ich musste höllisch aufpassen, damit ich wirklich Isas Anwältin war, selbst wenn ich ein Argument von Andrew stimmiger fand. Carl ging es genauso, wobei er wahrscheinlich geübter in diesen Dingen war. Falls Sie mal wieder Probleme haben, versuchen Sie doch auch einmal die nigerianische Konfliktlösung. Selbst wenn es nicht zur Lösung kommt, neue Ansätze öffnen sich auf alle Fälle.

Herzliche Grüße, Susanne

P.S. Falls Sie der Mann oder die Frau vom Nebentisch in Berlin waren, melden Sie sich doch bitte bei mir. Ich habe da einige Ideen, wie sie Dinge sinnvoller angehen könnten.

3 Kommentare
  1. Christine Tietz
    Christine Tietz sagte:

    Geniale Konflikt-Lösungs-Struktur
    Da funktioniert sicher nicht nur bei Ehepaaren, sondern bei jeder Form von Konfliktparteien – beruflich wie privat.
    Danke Susanne für diese geniale Idee: Konfliktlösung auf nigerianisch.
    Ich probier das bei nächster Gelegenheit aus.

    Antworten
    • Susanne Petermann
      Susanne Petermann sagte:

      Ja, das war spannend. Ich hätte nie gedacht, dass diese Art des Austausches etwas verändert, aber ganz offensichtlich war es so. Ob allerdings Weihnachten der richtige Zeitpunkt für eine Familienkonfliktlösung ist …Andererseits, warum nicht 🙂

      Antworten

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